Die neue ZDF-Serie „Vienna Blood“ entführt den Zuschauer mit einer Kriminalgeschichte in Wiener Bordelle, Opern und Kaffeehäuser. Die dreiteilige Serie von 2020, steht zeitlich im Schatten der Dekadenz des Fin de Siecle und überzeugt mit ihrer Liebe zum Detail für Szenenbild, Kostüme und Kameraführung. Gleich drei Hauptcharaktere erzählen die Geschichte: der bärige Kommissar Rheinhardt, ein lakonischer junger Freudianer und die Stadt Wien, in all ihren Facetten.
Keine Neuerfindung des ungleichen Duos
„Vienna Blood“ ist die Verfilmung der „Liebermann Papers“ von Frank Tallis, der genauso wie einer seiner Hauptfiguren, Psychologe ist. Schon in den ersten 10 Minuten der Folge „Die letzte Seance“ drängt sich einem der Gedanke an die Serie „Sherlock Holmes“ auf. Im Hintergrund klimpert ein Cembalo, ein ungleiches Ermittler-Duo betritt den Schauplatz.
Kommissar Oskar Rheinhardt, gespielt vom Österreicher Jürgen Maurer, kommt bei seinem neuen Fall ordentlich ins Schwitzen. Eine Frau liegt tot, im weißen Spitzenkleid auf einem Diwan in ihrer Wohnung, wie drapiert. Das Dekolletee ihres Kleides verunstaltet ein roter Blutfleck. In ihrer Hand hält sie einen Abschiedsbrief, der Selbstmord vermuten lässt. Aber wo ist dann die Waffe? Und wenn es kein Selbstmord ist, wie hätte jemand anderes in die Wohnung gelangen sollen? Denn ihre Tür ist verschlossen, es zeigen sich keine Spuren eines Einbruchs. Das Rätsel um die Tote ist nicht Reinhardts einzige Sorge. Zu allem Übel wird ihm der selbsterklärte Psychoanalytiker Max Liebermann zugeteilt, der vom Briten Matthew Beard verkörpert wird. Max will die Ermittlungen beobachten, um, wie er es ausdrückt: „Studien kriminellen Verhaltens“ anzustellen. Das ungleiche Duo ist komplett und die Erklärung für das britische Detektiv-Feeling ist der ehemalige „Sherlock“-Drehbuchautor Steven Thompson. Das war‘s dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Die Konstellation Psychologe hilft Polizei erinnert hier nämlich eher an die Netflix-Serie „Die Einkreisung“ mit Daniel Brühl und Dakota Fanning. Das „Vienna-Blood“ – Setting ist aber nicht übernatürlich, sondern mehr eine Art Zeitreise ins Wien der Jahrhundertwende plus Mordfälle. Regie geführt haben hier der Rumäne Robert Dornhelm und der Österreicher Umut Dag. Inspiration für den Namen der TV-Serie war übrigens Johann Strauss´ Musikstück „Wiener Blut, Opus 354“.
Eine Wiener Melange – Kommissar und Psychologe
Zurück zur Story: Da die Ermittlungen von Anfang an stockend vorangehen, schaltet sich Freudianer Max Liebermann ein. Mit einfühlsamen Beobachtungen dringt er hinter die Fassaden Befragter und Verdächtiger und liefert neue Ansatzpunkte. Die damals klassische Ermittlungsprozedur der Polizei: Verdächtigen und Indizien finden, Anklage vorbereiten und ab ins Kittchen geht hier nicht auf. Kommissar Rheinhardt sieht ein, dass er den „unausstehlichen“ Max und seine schmerzhaft-treffenden Analysen dringend braucht, um den Fall abzuschließen.
Kommissar und Psychologe versuchen mit vereinten Kräften das Rätsel der toten Frau in Weiß zu lösen und finden sich dabei in immer brenzligeren Situationen auf dem Wiener Kopfsteinpflaster wieder. In den letzten zwei Folgen, werden nicht nur die Fälle, die die beiden bearbeiten müssen komplizierter, es stellt sie auch vor persönliche Probleme. Max findet sich in einer verzwickten Situation mit seiner Verlobten Clara wieder, der er viel zu wenig Aufmerksamkeit schenkt, seit der für Kommissar Rheinhardt arbeitet. Rheinhardt hingegen wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert und wegen seines Vertrauens in Max´ analytischen Verstand vom Polizeichef unter Druck gesetzt. So viel sei gesagt, Sie erwartet noch ein grausamer Serienmörder, der seine Bilder gerne mit Blut malt und eine gruselige Militärakademie, die junge Kadetten in den Selbstmord treibt.
Der Bär und der Rabe machen ihre Sache gut
Matthew Beard verleiht seiner Rolle als Max einen sehr greifbaren Charakter. Die einfühlsamen blauen Augen des Schauspielers mimen gut den Psychologen, der in alle anderen hineinschaut, aber niemanden in sich hineinschauen lässt. Beards große, schlaksige Gestalt bekommt im knielangen, schwarzen Baumwollmantel von Max mit den dazu passenden Westen in Rot und Grautönen etwas Vogelähnliches. Rabenschwarze Haare und die scharf geschnittenen Gesichtszüge verstärken den Eindruck. Aber Beard muss nicht nur den Freudianer verkörpern, der sich mit seinen Ansichten im Wiener Spital, in dem er Assistenzarzt ist, seinen Chef zum Feind macht. Er muss auch den Außenseiter Max zeigen, der er als jüdischer Zugezogener im Wien von 1906 auf jeden Fall ist. Das ist schon in der ersten Folge spürbar, als Clara, Max‘ Verlobte, ihm den Wiener Bürgermeister, Dr. Karl Lueger vorstellen will und Max dies auf lakonische Art ablehnt. Lueger ist einer der wenigen real existierenden Figuren der Serie und war nicht nur von 1897 bis 1910 Wiens Bürgermeister, sondern auch bekennender Antisemit und Fremdenhasser. Das wird deutlich in Äußerungen wie: „Die Juden üben hier einen Terrorismus aus, wie er ärger nicht gedacht werden kann.“ Besonders gut, erkennt man diese hässliche Schattenseite der Wiener Gesellschaft in der zweiten Folge. In „Die Königin der Nacht“ geht es nicht nur um politische Morde, sondern auch um den Drahtseilakt, den Max‘ jüdische Familie vollführen muss, um in einer antisemitischen Gesellschaft Fuß zu fassen.
Abzug in Sachen Sympathie bekommt Max‘ Charakter allerdings in seinem Umgang mit Frauen. Allgemein ist zu sagen, dass es in der Serie keine besonders starken Frauenrollen gibt. Ab und zu wird ihm von der eigenen Schwester die Meinung gegeigt, aber bis auf die beiden klassischen „Love Interest“ Charaktere Clara und Fräulein Lydgate, gibt es keine Frau die es länger als 5 min auf der Leinwand hält. Dazu kommt, dass Clara, Max´ Verlobte, aufzeigt, wie kalt und unsicher der Freudianer im Umgang mit Menschen ist, die ihm nahestehen.
Der österreichische Schauspieler Jürgen Maurer, weiß wie er dem Kommissar etwas Stoisches, abgehängt wirkendes verleiht. In dem immer knittrigen sandfarbenen Tweed-Anzug wirkt der untersetzte Kommissar selbst für 1906 wie ein gestriger. Im Kontrast dazu stehen seine melancholischen braunen Augen, die eine traurige und zum Glück nicht zu komplexe Hintergrundgeschichte erahnen lassen. Unterstreichen kann der Schauspieler diesen Weltschmerz, indem er in jeder actiongeladenen Szene den „Haudrauf“ gibt, den Bad Cop, der auch mal Verdächtige verprügelt. Dem grummeligen, leicht reizbaren Kommissar, nimmt man dies aber nicht übel. Er zeigt im Verlauf der Serie, dass er sehr wohl Recht von Unrecht unterscheiden kann, aber schon zu oft erlebt hat, wie das Unrecht die Oberhand behielt. Er ließ mich sofort an einen Bären denken, das passt nicht nur zum Schauspieler, sondern auch zum Charakter.
Der Dritte Hauptcharakter ist Wien
„Vienna Blood“ ist nicht plotzentriert. Die Serie zeigt uns in ihrem Verlauf also auch noch die zahlreichen Probleme unserer Hauptcharaktere Max und Rheinhardt. Bei beiden sind es hauptsächlich Frauen oder Chefs die Probleme verkörpern. Wichtig ist aber auch das Wo. Egal ob in dunklen Seitengassen, opulenten Opern oder gemütlichen Kaffeehäusern, Wien ist allgegenwärtig und ließ mich das Szenenbild (von Bertram Reiter) bestaunen. Ein anderer Schauplatz hätte eine andere Geschichte erzählt. Wien erzählt anders als Berlin. Man lugt durchs Schlüsselloch in eine nie erlebte Zeit und findet dabei nicht einen kleinen Fehler (im Szenenbild). Selbst bei einer Jahrmarktszene konnte ich in der Auslage des Süßigkeiten-Standes im Hintergrund keine aufblitzende Plastikverpackung entdecken. Bravo Herr Reiter!
Weg vom Szenenbild, hin zur Erzählstruktur: Das Ganze wird manchmal auch ein bisschen langweilig, bzw. ist die Handlung schleppend, vor allem wenn der abgelenkte Max auf die verliebte Clara trifft. Man wünscht sich als Zuschauer, dass hier endlich mal jemand auf den Tisch haut.
Die Kameramänner Andreas Thalhammer und Xiaosu Han finden: mehr ist mehr
„Vienna Blood“ strotzt vor Spielereien der Kameramänner, da ein Vertigo-Effekt, hier eine Zeitlupe, dort scharf und unscharf Zeichnen. Das Ganze wirkt stellenweise ein bisschen überladen. Vor allem bei der Szene, in der Max und Rheinhardt in Zeitlupe von einem Dach springen und Max den Hut des Kommissars fängt. Alle, die die Szene schon kennen, wissen was ich meine. Ansonsten kann man über die sehr moderne Art und Weise der Kameraführung nicht meckern. Besonders einprägsam ist hier der Besuch einer Klimt-Ausstellung, bei der die Gemälde für eine der Nebenfiguren plötzlich schaurige Realität werden. Das Ganze ist nicht nur gut animiert, die Reaktion der Nebenfigur auf die lebendigen Gemälde ist mit dem Vertigo-Effekt gut getroffen, gefolgt von einer dramatischen Zeitlupe, in der Sektflöten fliegen lernen.
Bei den Kostümen rufen ModehistorikerInnen: Halleluja!
Die Kostüme von „Vienna Blood“ sind ein richtiges Schmankerl. Hier wurde 90 Prozent richtig gemacht. Die Zeit rund um das Jahr 1906 ist geprägt von der vielschichtigen Mode der Edwardianischen Ära (1901 – 1910), hier kann man genauso viel richtig wie falsch machen. Beginnen wir mit den älteren Frauen der Serie, diese sollten typischerweise traditionellere Stile dieser Mode tragen. Auf die Schwester und Mutter von Max lässt sich das sehr gut übertragen. Sie tragen die für die Zeit typische „Cottage loaf“-Frisur (kleiner Dutt auf großem Kopf) und Korsetts, die damals die S-Linie einer Taubenbrust formen sollten. Ihre Kleider sind meist schwarz, die Mutter trägt einen hohen Spitzenkragen, während ihre Tochter ein kleines Dekolletee zeigt. Die beiden sind perfekte Nachbauten des damaligen Schönheitsideals, des „Gibson Girls“. Von Synthetik Stoffen ist hier weit und breit keine Spur, stattdessen sieht man feine Wolle, Satin, Seide, Batist und Spitze. Ein überwältigendes Bild der neueren Moden des Stils gibt Clara, Max´ Verlobte ab. Das zartrosa Seidenkleid mit Cape-Ärmeln und hoher Taillierung, dass sie auf einer Klimt Ausstellung trägt, ist geradezu ein Paradebeispiel und dazu noch umwerfend schön. Ihre Kleider halten sich Größtenteils in der Farbpalette der Zeit, Pastell-blau, helles Gold und weiß. Gespart hat man hier aber ein bisschen mit den für die Zeit typischen Accessoires. Normalerweise waren die Kleider und Hüte damals überladen mit Spitze, Bordüre, ausgestopften Vögeln oder deren Federn sowie Stoffblumen. Bei Clara hat man die Accessoires reduziert, sodass es auch für heutige Verhältnisse chic ist. Auf ihrem cremeweißen Cart-Wheel Hut, sieht man gerade Mal zwei schlichte Federn und höchstens drei Stoffblumen. Claras Eleganz entgegen steht der eher pragmatische Stil von Fräulein Lydgate. Ja, man sieht Lydgate einmal in einem violetten Pleat-Kleid mit Umhang. Öfter macht man Bekanntschaft mit ihr im Arbeitskittel aus Chambray Stoff. Ihre Haare trägt sie, wie die Frauen aus Max´ Familie, im „Cottage loaf“. Ihr Stil unterstreicht ihren Charakter: gefestigt, sachlich, schlicht aber nicht ohne Tiefe. Zu bemängeln gibt es an den Kostümen sehr wenig. Die Gräfin von Rath aus der ersten Folge gibt sich mit ihrem Turban und der starken Schminke etwas zu Modern. Dieser Look wurde erst in den 20ern groß. Allgemein sieht man ab und zu überflüssiges Make-up und falsche Wimpern. Bei einer Schaustellerin oder Opernsängerin kann man das noch verwinden. Trotzdem: 1906 gab es keine falschen Wimpern.
Hier und da schleicht sich ein Fehler in das Geschichts-Epos
Dass eine Serie der öffentlich-rechtlichen nicht nur Unterhalten, sondern auch informieren soll, ist hier nicht zu übersehen. Man lernt ein plastisches Wien im Kontext des langsam zerfallenden Österreich-ungarischen Reiches kennen, mit Klimt, einem Antisemiten als Bürgermeister und den Lehren Freuds. Trotzdem gibt es hier mindestens zwei geschichtliche Fehler. Zum Beispiel als Max mit psychologischem Eifer in den Mordermittlungen von einem Täter-Profil spricht, ist das seiner Zeit ein bisschen voraus gegriffen. Das erste Täter-profil wird in Deutschland um das Jahr 1930 herum entwickelt. Kriminaldirektor W. Gacy erstellt eines, um den Serienmörder Peter Kürten zu fassen, oder wie er vor der Festnahme genannt wurde: „Der Vampir von Düsseldorf“.
In mehreren Szenen von „Vienna Blood“ wird es auch um die Elektroschocktherapie gehen. Das erste unlogische daran: Die Behandlung mit Stromstößen wurde in der Psychiatrie nicht vor 1938 angewendet. Noch weniger nachgedacht hat man hier, weil man dem ganzen einen „Einer flog übers Kuckucksnest“- Stempel aufdrückt. Die Stigmatisierung dieser Therapieform in der Popkultur ist so extrem, dass man sie sogar von Elektroschocktherapie in Elektrokrampftherapie umbenennen musste. Fakt ist: Heutzutage werden damit immer noch Depressionen therapiert und auch vor 90 Jahren wurde sie nicht benutzt, um Patienten zu quälen, sondern weil sie Verbesserungen bringen kann. Als negativ zu bewerten ist aber, dass die ersten Patienten der Elektroschocktherapie keine Narkose oder Muskelrelaxantien erhalten (konnten). Ohne kann es nämlich zu Schmerzen und im schlimmsten Fall Knochenbrüchen kommen.
Fazit
Wien gibt einen sehr spannenden Schauplatz für die Handlung von „Vienna Blood“ ab. Im Schmelztiegel der Psychologie, Musik und Kunst verweilt man als Zuschauer gerne und schaut auch bei langsamen Handlungssträngen aufmerksam zu. Beide Hauptcharaktere werden von den Schauspielern Beard und Maurer glaubhaft verkörpert. Max Liebermann ist allerdings ein Charakter der eher Antipathien weckt. Das Zusammenspiel von unterschiedlichen Protagonisten, die sich erst nicht verstehen und dann doch, ist ein oft verwendetes Storytelling Motiv (Scully und Moulder, Walter White und Jesse Pinkmann…), das hier auch funktioniert. Die Handlung ist streckenweise etwas langsam, wahrscheinlich um Wien als Stadt mehr in den Fokus zu nehmen. Positiv ist aber, dass man bei den Kriminalfällen nichts vorausahnen kann. Die Auflösung kommt immer überraschend. Am Szenenbild und den Kostümen gibt es nichts auszusetzen, beides wurde mit geschichtlicher Akkuratesse produziert. Kameraführung und filmische Mittel wurden manchmal ein bisschen übertrieben eingesetzt, wirken insgesamt aber sehr stimmig. Bei den drei Folgen die jeweils ungefähr anderthalb Stunden dauern, kann man sich von Freitag bis Sonntag die abendliche Suche auf Netflix sparen. Abgeholt werden hier Krimi-Liebhaber und Historien-Fans, die über kleinere Fehler hinwegsehen können. Jeder der andere Erwartungen an eine Serie stellt, wie zum Beispiel: starke Frauenrollen, keine Charaktere nach Schema F oder Plots die einen aus dem Sessel reißen, wird hier nicht bedient. „Vienna Blood“ macht alles gut, aber nichts neu.
Bildquellen
- simon-berger-87RXi_iC1xI-unsplash: https://unsplash.com/@8moments